305. Akt
Der
gestrige Abend steckt mir noch in den Knochen. Die Lesung im Modepark
Röther in Mühldorf ist klein, fein, sarkastisch und genial. Manch
einer mag glauben, dass Veranstaltungen mit „nur"
fünfundzwanzig Teilnehmern wischiwaschi sind. Aber da kennt man die
Mühldorfer schlecht. Keiner von den Gästen erwartet bei dem Titel
„33 Grausamkeiten“ Essays von Rosamund Pilcher. Niemanden muss
ich erst sanft auf die fiesen Geschichten vorbereiten. Schwarzer Humor gehört hier offenbar zur Grundeinstellung. Ich kann
gleich Vollgas geben. Mühldorf macht ordentlich Punkte in Sachen
Spaß.
Ein
bisschen eigenartig ist es ja schon, sich inmitten von schnieken
Fummeln und aktueller Wintermode aufs Lesen zu konzentrieren. Aber
nach zwei Prosecco bin ich ganz bei der Sache.
Zur
Abwechslung lese ich sogar abwechselnd aus Teil I und II und schrecke
auch vor den richtig bösen Geschichten nicht zurück. Sensibelchen
sind nicht im Publikum. Keiner verlässt seinen Platz oder fragt nach einem Eimer. Blöderweise verzichte ich
zugunsten des Prosecco quasi vollständig auf antialkoholische
Getränke, und nach der Lesung feiern wir noch in kleiner Runde ein bisschen weiter. Ich bin in der Stimmung noch alle schönen
Klamotten um mich herum anzuprobieren. So völlig ohne andere
Kundschaft, ist das bestimmt genau so cool, wie eine Nacht im IKEA.
Nur ich und ein Inbusschlüssel. Ich lasse das mit dem Anprobieren
aber sein. In meiner Verfassung kriege ich die Sachen vermutlich gar
nicht vom Bügel.
Das Ergebnis ist, dass ich heute
morgen mit einem ausgesprochen anhänglichen Mordskater und einem
breiten Grinsen aufwache. Mein Kopf fühlt sich an, als hätte er
ausgiebigen, mehrfachen und heftigen Kontakt mit einer Abrissbirne
gehabt, und dennoch muss ich bei dem Gedanken an gestern Abend
kichern. Was für ein geiles Publikum? Eine Freundin von mir hatte
ihre Teilnahme zugesagt. Eine ausgesprochen kreative Frau. Und weil
Barbara dann leider erkrankte, mich aber nicht ohne einen
„personellen Ausgleich“ sitzen lassen wollte, schickte sie ihren
Vater und ihren Mann zur Lesung. Letzteren integrierte ich gleich mal
namenstechnisch in eine meiner Geschichten. Was haben wir gelacht,
als der Hauptprotagonist in „Der Spanner“ nicht mehr Hermann
sondern Herbert hieß. Da entwickelt man gleich völlig neue
Ansichten.
Die Heimfahrt habe ich
sicherheitshalber vertagt. Das was als Restalkohol in meiner Blutbahn
rumschwirrt, wird mich nicht in mein Bettchen, sondern bestenfalls
vor den nächsten Baum bringen. Ich nutze das gute Wetter und laufe
noch ein bisschen am Inn entlang. Kopfweh, Übelkeit und dennoch das
Gefühl, Bäume ausreißen zu können. Cool. Ich muss mir die
Prosecco - Marke merken. Und eins ist klar. Sobald das nächste Buch
fertig ist, schlage ich hier wieder auf. Dann halte ich mich
allerdings ein bisschen mehr an Wasser und Apfelschorle. Und eins ist
sicher. Dann probiere ich mich – wenn alle mit den Büchern
abgelenkt sind – einmal quer durchs Sortiment. Ja. Genau. Das mach
ich dann.
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