341. Akt
Ich
gehe Brötchen holen. Ein bisschen verschlafen bin ich noch. Habe
nachts um 3 Uhr noch den Party-Shuttle für Tochterkind gemacht. Muss
´ne tolle Party gewesen sein. Sie ist hellwach, und ich lenke mit meinen
herabfallenden Augenlidern. Egal. Jetzt ist es immerhin fünf Stunden
später.
Der
Weg zum Bäcker ist leicht. Kriegt man auch mit akutem Schlafdefizit
hin. Raus aus dem Haus, links, zweihundert Meter, links, hundert
Meter. „Guten Morgen, fünf Kürbiskern bitte.“
Vor
dem letzten links Abbiegen kommt mir auf dem Gehweg eine kleine
Familie entgegen. Er (nennen wir ihn der Einfachheit halber mal
Wilfried) schiebt einen Kinderwagen. Und sie (mal eben kurz Gerlinde genannt)
trottet hinterher. Aller Müdigkeit zum Trotz bin ich gerne
freundlich. Und deswegen grüße ich das Dreierpaket mit einem netten
„Guten Morgen.“
Wilfried
zuckt kurz zusammen und grüßt dann zurück.
Ich
habe kaum Zeit über seine Schreckhaftigkeit nachzudenken, als
Gerlinde ihn anblökt, was das denn nun wieder soll. Sie bleiben
stehen und ich gehe gaaaaaanz langsam weiter. Interessiert mich ja
nun doch, was Wilfried da verkehrt gemacht haben soll. Innerhalb von
weniger als fünf Sekunden macht Gerlinde ihrem Kinderwagen
schiebenden Gatten die Hölle heiß. Und zwar... tadaaaaa!!! Weil er
mit wildfremden Frauen flirtet. Geradezu angebaggert hätte er mich,
meint sie.
Der
arme Kerl, denke ich mir. Wenn sie schon bei der Antwort auf ein
„Guten Morgen“ so reagiert, was hätte sie gemacht, wenn ich ihn
nach dem Weg oder so gefragt hätte? Wickeltasche bis zur
Bewusstlosigkeit ins Genick gedroschen???
Liebe
Gerlinde (oder wie auch immer du in Wirklichkeit heißt), es ist
nicht so, dass dein Mann euren Nachwuchs in die nächste Hecke
geschoben und animalisch schreiend auf mich drauf gesprungen wäre. Er hat auch nicht
hysterisch lachend seinen Ehering vom Finger gerupft und in den Gulli
geschmissen. Er hat nur schlicht und einfach und völlig normal einen
Gruß erwidert. Und das auch noch überaus erschrocken. Ich halte dir
mal zu Gute, dass du vielleicht noch in einer postnatalen
Hormonschwankung verharrst und dein Familienanspruch einfach ein
bisschen überbordet. Ich kann dir aber bloß den Rat geben, deinem
Gatten ein „Guten Morgen“ zu netten Menschen zu gestatten. Sonst
hast du in ein paar Jahren einen Mann, der „Gute Nacht, Schatz“
sagt. Allerdings nicht mehr zu dir. Also mach dich locker. Alles wird
gut.
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