340. Akt
Lieber
Mercedes Kombifahrer.
Ja,
du bist sicher zurecht stolz auf deinen Wagen. Es ist ein schönes
Auto. Silbern und ein bisschen angedellt. Äh... wenn ich ehrlich bin
– Nein, es ist dann doch nicht so schön. Aber ich will dir ja
keine schlechte Laune machen. Dass du gute Laune haben musst, konnte
ich daran erkennen, wie du mich geschnitten hast, als du ohne zu
schauen aus der Tankstelle gefahren bist. Nicht unbedingt zügig,
aber dafür konsequent und ohne Schulterblick. Ich könnte schwören,
dass du auch auf lästiges Blinken oder gar in den Rückspiegel
Schauen verzichtet hast. Aber was soll´s? Ging ja alles gut.
Nun
ergab es die Straßenlage, dass ich in den folgenden Kilometern
hinter dir her dackeln musste. Du warst zu schnell, um als stehendes
Hindernis zu gelten und zu langsam um zu verhindern, dass sich schon
nach fünfhundert Metern kleine Schaumblasen vor meinem Mund
sammelten. Nun gut. Die Sonne schien und du hast bestimmt was Tolles
im Radio gehört. Vielleicht ein bisschen „Atemlos“ von Helene
Fischer, denn so bist du gefahren. Zumindest aus meiner Perspektive.
Ja, auch ich bin gerne ein freundlicher Mensch. Personen an Zebrastreifen
oder am Straßenrand lasse ich in der Regel mit einem Lächeln die
Straße überqueren, ohne es mir nochmal zu überlegen und einen
Kaskoschaden zu riskieren. Höflichkeit ist gut. Auch und vor allem
im Straßenverkehr. Wenn du allerdings stehenbleibst und hartnäckig
zwei alte Damen über die Straße winkst, die selbige überhaupt
nicht überqueren wollen, dann werde ich vielleicht ein klitzekleines
bisschen... sagen wir – ungeduldig. Hupen kann ich mir dann nur
noch unter Schmerzen verkneifen, aber ich gebe mein Bestes. Auch
das langsamer Werden vor grünen Ampeln, damit man bei eventuellem
Gelb mit beiden Füßen auf das Bremspedal springen kann scheint dir
viel Spaß zu machen. Ich überlege, ob ich noch ein Fläschchen
Baldrian im Handschuhfach habe. Entweder für mich zur Beruhigung
oder um es dir durch das geöffnete Fenster an die Rübe zu schmeißen, du dämlicher Honk! Die neuen Bissspuren hat mein Lenkrad deiner
Fahrweise zu verdanken.
Wieso verdammt nochmal muss man jede
Geschwindigkeitsbegrenzung halbieren und dann um eine Zahl zwischen
eins und zehn ergänzen und selbige konstant im Tacho behalten.
Innerorts gelten 50km/h, du mobile Nervensäge. Der Schweiß sammelt
sich in meinem Nacken, wenn ich bedenke, du wärst an einem meiner
schlechten Tage vor mir aufgetaucht. Suizidales, frontgetriebenes, Hindernis, du in deiner silbernen Blechbüchse willst du mich wahnsinnig
machen? Aaaaaarghhhhhh!!!! Du bist da ganz nah dran. Und wenn ich
erstmal vor Wut aus den Ohren blute, dann fahre ich dir bis in deine
Garage nach, und dann nochmal drei Meter weiter. Atemübungen helfen
kaum noch und ich reiße schon fast kleine Teile aus meinem
Armaturenbrett.
Endlich!
Entgegen
deines natürlichen Verhaltens biegst du nun ab und fährst bei rot
auf die Autobahn. Ich atme ein.
Hier
werde ich halten. Mich beruhigen und sanft ein- und ausatmen. Du bist
mir entkommen. Und das ist gut so. Nicht auszudenken, wie herzlich
ich dich gerne nochmal auf das übliche Verhalten im Straßenverkehr
hingewiesen hätte. Ich schüttel mit dem Kopf. Lang und ausgiebig.
Und
dann hupt einer hinter mir. Recht hat er. Ich habe schon 0,5 Sekunden
der aktuellen Grünphase verschludert. Nun aber nichts wie auf´s
Gas. Ich will ja nicht, dass sich jemand über mich ärgert.
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