339. Akt
Ich habe mich gerade im Schweiße
meines Angesichts durch den örtlichen Schreibwarenladen gearbeitet.
Lediglich auf der Suche nach angemessenem Geschenkpapier. Klingt
einfach, ist es aber nicht. So wie im Kleidungsbereich auch, bin ich
mit zu vielen Farben, Formaten und Drucken leicht überfordert. Bis
ich mich für knackiges Silberpapier mit „Happy Birthday“-Smileys
entscheide, haben gefühlte hundert andere Kunden sich schon mit dem
kompletten Pinsel-, Briefkuvert- und Grußkarten-Sortiment
eingedeckt. Ich wäge ein letztes Mal ab (vielleicht irgend ein
Papier selber gestalten?) und greife dann doch wieder zur erst
gewählten Rolle. Ja. Besser. Dezentes Dunkelblau mit schniekem
„Alles Gute“-Schriftzug.
Während ich in Höhe der Tür
an der Kasse warte, sehe ich, dass jemand den Laden betreten will.
Ich lange nach dem Griff und ziehe die Tür zu mir heran, so dass der
Kunde eintreten kann. Ein Junge. Nicht groß, vielleicht ein, zwei
Burger am Tag zuviel, etwa zwölf Jahre alt. Er schaut mich mit
großen Augen an.
„Bitte schön!“ sage ich.
„Danke schön!“ sagt er.
Freundlich überrascht. Aber
eben freundlich und höflich. Ich freue mich.
Ich freue mich so lange, bis
sich der Herr hinter mir befleißigt fühlt, meine Nettigkeit mit
abfälliger Stimme zu rügen.
„Der Rotzlöffel soll mal
lernen die Türe alleine aufzumachen. So was Unhöfliches aber auch.
Das Pack muss erst mal Höflichkeit lernen. Können nicht ´guten
Tag´, ´Danke´ und ´Bitte´ sagen, und lassen sich den Arsch
hinterher tragen.“
Ich bin verblüfft, als ich mich
umdrehe. Hinter mir steht ein Mann im Alter von deutlich über
siebzig Jahren und kriegt sich gar nicht mehr ein. Leider ist jetzt
erst März und es sind noch keine Schultüten verfügbar, mit denen
ich ihn rektal zur Contenance bewegen könnte und deswegen frage ich
ihn, was seine Kritik soll. Okay, meine Wort klingen eher nach „Jetzt
hackt´s wohl. Der Junge hat sich bedankt und Guten Tag gesagt. Der
hat mehr Anstand als so ein Giftzwerg!“
Ich bin mir nicht mehr sicher,
aber es könnte auch noch ein „seniler“ vor dem „Giftzwerg“
rausgerutscht sein. Ich war halt noch ein wenig angegriffen von der
Geschenkpapiersuche.
Im ersten Moment denke ich, dass
nun der spärlich beharrte Kopf platzt. In der Tat habe ich selten
jemanden so schnell und so rot anlaufen sehen.
Während mein Text sicherlich
ein wenig unartig war, entsprach mein Ton ja noch einer moderaten
Lautstärke. Der alte Herr hätte im Gegenzug mit dem Volumen seiner
Stimme drei Föhnfrisuren trocken gekriegt. Leider war dadurch nicht
mehr zu vernehmen, was er eigentlich sagen wollte.
Was soll´s? Geschrei hat mich
selten gejuckt. Wer schreit hat Unrecht, heißt es schon immer. Und
je lauter der ältere Sa.. äh... Herr rumschreit, umso mehr löst
sich meine Muskulatur, und ich muss grinsen. Ich bezahle
tiefenentspannt mein Geschenkpapier, lächle das Rotköpfchen noch
einmal an und verschwinde aus dem Laden. Kurz nach mir verlässt auch
Mister „Cholerisch 2017“ das Geschäft. Vermutlich hat er vor
lauter Aufregung alles was er kaufen wollte in die Ecke gepfeffert
und geht jetzt in den Wald Bäume umtreten.
Ich schüttle mit dem Kopf. Wie
soll denn diese ständig vermaldeite Jugend Höflichkeit lernen, wenn
solche Honks jede Form von Anstand niedermachen und sich gebärden
wie militante Knigge-Verweigerer? Sollen das Vorbilder sein? Für
wen denn? Für Absolventen der „Ich bin ein aggressiver Vollspacken
und habe einen an der Waffel.“-Lehrgänge?
Dann muss ich wieder grinsen.
Der Junge war echt niedlich in seiner Überraschung, dass jemand nett
und höflich zu ihm ist. Ich hoffe, er nimmt von dem Moment mehr mit,
als von dem was folgte.
Dann laufe ich weiter nach Hause
und überlege, ob das silberne Geschenkpapier vielleicht doch ein
klitzekleines bisschen besser wäre als.... ach lassen wir das.
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