327. Akt
Ja, es gibt sie. Die
Autowaschanlagenterroristen. Und es gibt auch die suizidalen „Ich
drängel mich vor und ignoriere die folgenden Drohungen“-Rebellen.
Erst heute wieder erlebt. Künftig brauche ich für solche
Situationen eine gut funktionierende Kamera und ein Richtmikrofon im
Auto.
Es ist einer der ersten minimal
sonnigen Tage mit Temperaturen um 0 Grad. Das heißt, man kann sein Auto waschen lassen, ohne danach darin festzufrieren.
Und obwohl ich noch grob weiß,
dass die Farbe meines Wagens ein sattes Obsidianschwarz sein muss, möchte
ich mich diesbezüglich selber überzeugen. Die salzgraue
Schicht auf dem Lack könnte - dick und farbintensiv wie sie gerade ist - theoretisch auch ein Feuerwehrauto oder
einen Leichenwagen verbergen,
Also nichts wie los zur
Autowaschanlage. Bis vor ein paar Monaten hatte ich noch eine
geradezu pathologische Panik in Waschstraßen zu fahren. Irgendwas in
meiner Phantasie trat noch vor der Einfahrt mit beiden Füßen auf
die Bremse. Und so bog ich immer wieder vorher ab und fuhr in eine
der Waschboxen, in denen man seinen Wagen von Hand waschen kann. Im
Sommer mit Shorts und T-Shirt, sehr unterhaltsam. Im Winter hatte man
bisweilen den halben Mantel nass und Erfrierungen an beiden Händen.
Warum auch immer, habe ich die Angst irgendwo verloren und kann mich innerhalb meines Blechs jetzt souverän durch rotierende Bürsten, Sprühsysteme und
Trocknungsgebläse bewegen.
Nun bin ich heute aber nicht die
einzige, die sich nur noch grob an die Farbe ihres Wagens erinnern
kann. Vor mir stehen rund fünfzehn Fahrzeuge mit dem gleichen
Anliegen. Schön, schön. Bei manchem Wagen lässt sich in der Tat
kaum noch das Modell erkennen. Es wird höchste Zeit.
Neben der Reihe
mit Autos, die in die Waschstraße wollen, steht ein Grüppchen von
Fahrzeugen, die sich vor den Waschboxen drapiert haben.
Ich gehe nicht davon aus, dass
die Fahrer alle eine ähnliche Waschstraßen-Neurose haben, wie ich
sie hatte. Ihre Gründe für die Waschboxen-Wahl ist mir quasi
wurscht.
In der Regel wissen die Fahrer immer ganz genau, wer an der
Reihe ist, eine der freiwerdenden Waschboxen zu befahren.
Man muss keine Nummer ziehen und
sich auch nicht hintereinander aufreihen. Jeder schaut genau, wer
schon steht und wer nach einem dran ist.
So lange man sich an diese Regel
hält, gelingt das Befahren und Reinigen des eigenen Autos eigentlich
recht geschmeidig und gefahrlos.
Dieses Mal saust aber ein
silberner Audi Kombi, ohne sich auch nur kurz zu orientieren, an dem
Pulk der Wartenden vorbei und hinein in eine der Nasszellen.
Ich halte ein bisschen die Luft
an und öffne das Seitenfenster. Ich bin froh, noch so weit hinten in
der Schlange zu stehen, denn jetzt wird es spaßig.
Als erstes macht sich die Oma
aus der B-Klasse auf den Weg. Ihr Wagen ist gar nicht so schmutzig,
aber die Dame schleudert mit ihrem Gehstock in Richtung des
Audi-Fahrers, wie Harry Potter mit seinem Zauberstab. Auch der
schmächtige Typ aus dem Vito steigt aus (Klar hinter einer solch
energischen Großmutter würden ganze Kompanien siegreich in die
Schlacht ziehen). Der Audi-Fahrer lässt sich nicht beirren, kramt
seine Münzen aus der Tasche und stopft sie offenbar in die Maschine,
die die Anlage einschaltet. Als sich die Oma weiter laut schimpfend
nähert hebt er die Sprühdüse fast so, als ob er sie mit dem
Wasserstrahl zurück in ihre B-Klasse blasen will. Da hat er die
Rechnung aber nicht mit dem schwarzen Kadett und dem salzgrauen
Nissan gemacht. Ich bin ein bisschen geknickt, dass es hier so laut
ist und ich nicht alle Beschimpfungen hören kann. Der Audi-Fahrer
scheint in der Waschbox um Jahre zu altern, aber er gibt nicht auf
und setzt die Reinigung seines Wagens einfach fort.
Blöd, ich bin nun selber an
der Reihe in die Waschstraße zu fahren und würge meinen Motor
erstmal gepflegt ab.
Dann lese ich erneut „Automatik
auf N stellen“. Äh ja... wo war das noch gleich. Ich lasse den
Motor nochmal an und schalte ihn erneut ab. Jetzt ist „N“. Prima.
Während ich berieselt,
gereinigt und getrocknet werde, überlege ich, ob der Audi-Fahrer
bereits zwischen den Zapfsäulen gevierteilt wird, währen die
B-Klasse-Oma ihn gerechtfertigt mit satanischen Flüchen überzieht. Als ich selber
aus der Waschstraße fahre (und ja. Ich habe ihn nochmal abgewürgt),
hat sich die Situation vor den Waschboxen schon wieder beruhigt.
Nirgendwo liegen Reste eines rebellischen Audi-Fahrers und auch die
anderen Waschfreudigen sind zur Tagesordnung übergegangen. Auf dem
Heimweg rechne ich damit einen silbergrauen Kombi mit einem
schweißgebadeten Fahrer am Straßenrand zu begegnen, aber es ist
alles frei.
Ein bisschen enttäuscht fahre
ich in meine Garage und überlege, was ich getan hätte, wenn ich
neben der Omi auf eine Waschbox gewartet hätte. Je nach Tagesfassung
hätte ich bloß gelächelt. Oder würde jetzt, nass von den Waschdüsen, auf einer silbernen Kühlerhaube herumspringen.
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