Donnerstag, 12. Januar 2017

321. Akt

Verflixt, was ist das da für ein schöner Pulli in meinem Schrank. Cremefarben, lang genug, weich und passen tut er auch noch. Warum noch mal habe ich ihn seit Ewigkeiten nicht getragen? Keine Ahnung.
Heute Abend ist er fällig. Wir treffen uns im Gesprächskreis, um zu besprechen, wie wir uns in unserem Ehrenamt besser, intensiver oder auch nur erfüllender einsetzen können. Irgendwer hat Lebkuchen, Marzipan und Nougat mitgebracht. Selbiges steht in der Mitte des Kreises und reizt mich geradezu unerhört dazu, mich in einem simulierten Schwächeanfall nach vorne zu werfen und genau mit meinem Mund auf die Schale mit dem Nougat/Marzipan zu fallen. Ich will ja nicht so gierig aussehen, aber ich glaube, ich bin die einzige, die schon dreimal zu den Süßigkeiten und nicht einmal zu den Wasserflaschen gegriffen hat.
Und während ich so da sitze und meinen wunderbaren Kollegen zuhöre, überlege ich, wie ich unauffällig an den Leckerkram kommen kann.
Hin und wieder werde ich aber abgelenkt. Ist es die Hitze in dem Raum? Sind es die vielen Leute. Ich sitze in der Runde, und aus irgendeinem Grund riecht es seit ein paar Minuten nach nasser Hund.
Und dann fällt es mir wieder ein. Es ist gar nicht das tatsächliche „nasse-Hund-Aroma“, welches mir (und glücklicherweise nur mir) in die Nase steigt. Es ist der Geruch von nasser Wolle. Ich sitze und schwitze und der Pulli beginnt zu riechen, als hätte man einen Bernhardiner durch die sommerliche Isar getrieben. Ja, genau, das war der Grund, warum ich den Pulli so selten getragen habe. Ich schaue unauffällig nach links und rechts. Rümpft da schon jemand die Nase? In der Regel gestikuliere ich recht einfallsreich, wenn ich spreche. Jetzt aber presse ich die Arme fest an den Körper und überlege, ob ich nicht zusätzlich meinen Mantel überziehe, ganz einfach zur Geruchssperre für meine Mitstreiter. Die Situation ist doof, denn mit anliegenden Armen kann ich nun rein gar nicht mehr nach dem Marzipan-Zeug greifen. Ich bin ein bisschen verzweifelt, denn während ich versuche still zu sitzen, greifen andere beherzt zu. Je hartnäckiger ich versuche nicht zu schwitzen, umso intensiver riecht dieser vermaldeite Pulli, als hätte ich frisch geduscht und mich dann nass im Skianzug in die Sauna gesetzt. Es sind nur noch drei Stück Marzipan/Nougat in der Schüssel. Ich schaue in die Runde. Gelüstet gerade einem nach diesen Leckereien? Hat jemand den klassischen Marzipan-Blick. Ich kann nichts erkennen, aber ich will die Süßigkeiten auch nicht unnötig gefährden. Zwei aus der Gruppe stehen auf und holen sich ein Stück Lebkuchen. Das ist meine Chance. Bei drei Personen ist die Ablenkung groß genug. Ich stehe auf. Mein „nasse Hund Odeur“ hinter mich herschleifend.
Wenn ich gleich zwei Stücke nehme kann ich für den Rest der Stunde mit angepressten Armen in meinem Wollpulli vor mich hinschwitzen ohne in Panik zu geraten, und genau so mache ich es auch.

Als sich die Gruppe auflöst, habe ich schon lange wieder meinen Mantel an. Ich öffne für einen Moment das Fenster. Und dann schleiche ich mich von dannen. Vermutlich ist mein wollener Geruch gar nicht bis zu meinen Sitznachbarn vorgedrungen, und vermutlich hätte es sie gar nicht weiter gestört. Ein bisschen schlechtes Gewissen habe ich schon, dass ich fast alles von dem Riegel aufgegessen habe. Und eins ist mir klar. Der Pulli wird gewaschen und kommt dann wieder ganz nach hinten und nur für Notfälle in meinen Schrank. Zum einen wegen des Geruchs und zum anderen wegen der Schokoflecken.  

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