323. Akt
Wow!!!
Was für ein Abend! Ich bin hellbegeistert. Mit meinem alten Freund
und Kollegen Michael Diehl bin ich in die Jury für einen
Model-Contest gebeten worden und das Ganze findet im Marmorsaal im Stuttgarter Weißenburgpark statt. So weit so gut. Hier handelt es sich
aber nicht um die „Miss Aral Super Plus“ oder „Miss Rasendünger
Senior 2017“, sondern um einen Model Wettbewerb unter gehörlosen
Frauen. Die neun Teilnehmerinnen haben in den letzten Wochen bereits
zehn Wettkampf-Runden hinter sich gebracht. Ja, okay, dieser Wettkampf hatte keinen Germanys Next Top Model Etat und deswegen wurde statt mit Schlangen mit Mehlwürmern geshootet, und die Reise ging auch nicht um die halbe Welt. Dafür mussten die Kandidatinnen aber auch nicht Heidi Klums Stimme ertragen und konnten sich selbst treu bleiben. Und die Mädels und das Team hatten bis jetzt jede Menge Spaß und
Freude, wie man in den jeweiligen Einspielern sieht.
Dass
hier keine Modelmaße erfüllt werden und auch die drei Durchgänge
nicht auf einem glamourösen Laufsteg stattfinden, stört kein
bisschen. Die Frauen geben sich selbstbewusst und von einer
unfassbaren Lebensfreude.
Das
Team gestaltet, moderiert und unterhält mit einer gestenreichen
Hingabe und mit Tanja und Rita stehen den sehr, sehr wenig Hörenden
im Raum gleich zwei witzige und herzliche Gebärden-Dolmetscherinnen
zur Seite. Die Stimmung ist so gut, dass ich mich sogar mit meinen
rudimentären Gebärdenkenntnissen aus dem Eck wage und herzlichen
Zuspruch bekomme. Keiner wendet sich ab und gebärdet dem Nächsten,
dass ich irgendwas Obszönes von mir gegeben habe oder einen
Striptease im Park vor der Tür angekündigt hätte. Cool! Das muss
ich ausbauen.
Aber
eigenartig ist es für uns Hörenden manchmal schon.
Die
gesamte Veranstaltung findet nämlich vollständig ohne Musik und
(bis auf die Dolmetscherinnen ausgenommen) ohne Worte statt.
Statt
Klatschen wird mit den Händen in der Luft gewedelt. Das hat was. Und
dennoch geht mir an dieser Stelle ein bisschen lautstarke
Begeisterung ab. Die Veranstalter, die Models, der Koch und die
Kellner – alle taub. Nie zuvor habe ich mich so prächtig mit
Menschen unterhalten, die mich nicht hören konnten (an dieser Stelle
sprechen meine Kinder von einem eindeutigen Vorteil der Gehörlosen).
Wenn irgendwo ein paar Gläser runterfallen, dann schreckt nur die
Handvoll hörender Gäste auf. Der Rest lächelt weiter fröhlich in
Richtung Bühne.
Mein
Fazit: Es war leise, aber nicht ruhig, und Gehörlosen fehlt nur und
ausschließlich ihr Gehör. Sonst fehlt ihnen nix! Nix! Nix! Die
Lebensfreude hat mich in aller Stille einfach umgehauen.
Und
wenn man ehrlich ist, dann ist es durchaus mal ganz angenehm, wenn
einem nicht ständig ins Wort gefallen wird. Blöde Gelaber gibt es
an vielen Stellen schon ausreichend genug.
Obwohl....
Blödes Gelaber gibt es sicherlich auch in der Gebärdensprache, aber
so weit reichen meine erlernten Gesten vermutlich noch nicht. So hat
„Nichtkönnen“ mal wieder einen klaren Vorteil.
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