354. Akt
„Da
hat der Gerd doch dem Niels sein Osterkörbchen leer gegessen. Ist
das nicht gemein?“
Die
Frau, die empört vor mir sitzt, macht den Eindruck, als hätte ihr
Mann den letzten Grund für Scheidung oder Mord im Affekt vollzogen.
Der
liebe, nette, okay ein wenig dickliche, aber ansonsten feine Gerd hat
sich also erdreistet, seinem verwöhnten, vierzehnjährigem Filius die Reste eines
Lindt-Hasens wegzunaschen. Unfassbar!
Mein
Gegenüber rechnet gerade damit, dass ich jetzt aufspringe und rufe:
„Knüpft diesen Scheißkerl und unwürdigen Vater sofort an der
nächsten Ampel auf.“ Aber ich kann nur mit den Schultern zucken.
Ich hake nochmal nach.
Ja.
Genau. Bloß ein bisschen Vollmilchschokolade aus einem Nestchen,
welches bereits zwischen Cola- und Red-Bull-Dosen vor sich
hingammelte.
Ich
kann mich noch nicht mal zu einem „Wie schändlich!“ hinreißen
lassen.
Meine
Kinder sind seit vielen Jahren gewohnt, dass sie sich freuen können,
wenn ihnen knappe 50% ihrer Oster-, Weihnachts- oder
Geburtstags-Schokolade bleibt. Wann immer ich ihr Zimmer betrete, um
frische Wäsche zu bringen, zum Essen zu rufen oder einfach mal zu
schauen, ob sie hier noch wohnen, schaue ich nach, ob es noch was zu
entsorgen gibt. Gerne eben auch Schokolade. Und ja, es hat einen
Grund, warum ich fürs Verschenken in Richtung Kind 1.0 und Kind
2.0 gerne Material verwende, welches mir selber gut schmeckt.
Auf
meinen Tipp, dem lieben Gerd zu Ostern oder an ähnlichen Feiertagen
einfach auch ein Körbchen zu bereiten, bekomme ich nur ein „So
weit kommts noch!“
Dann
folgt der Satz, der Gerd in Sachen Verständnis noch ein wenig enger
an mich heranrückt.
„Gerd
und ich leben seit zwei Jahren Zucker-reduziert und möglichst
fettarm. Weil es gut für uns ist.“
Aha,
denke ich mir. Und eines weiß ich genau. Spätestens zu Weihnachten
kriegt der Schokoladen-technisch unterversorgte Mann einen Fresskorb
von mir. Dann muss er sich nicht des Diebstahls am Kindereigentum
schelten lassen und hat vielleicht endlich mal wieder ein Lächeln im
Gesicht.
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